IPS ist vor ca. einem Jahr mit Newsprint Italia erfolgreich in die Zeitungsproduktion eingestiegen – dank Inkjet wurde das möglich. Was ist für Sie die wichtigste Eigenschaft dieser Technologie?
Dieter Wirtz: Die wichtigste Eigenschaft des digitalen Zeitungsdrucks ist aus unserer Sicht diese: Das Verfahren erschließt dem Traditionsprodukt Printzeitung – mit dem fast alle Verlagshäuser nach wie vor ihre Haupteinnahmen erzielen – die Flexibilität, Aktualität und prinzipielle Schrankenlosigkeit digitaler Content-Vermarktung und unterstellt den Produktionsprozess vollständig der vertrieblichen Steuerung.
Bei IPS haben wir dafür eine Formel geprägt: Digitaldruck stellt den Zeitungsmarkt vom Kopf auf die Füße. Bislang galt Vertrieb von Tagespresse oft als eine Art Versorgungsleistung, die im jeweiligen Kernverbreitungsgebiet pauschal erbracht wird. Denn der Offsetdruck setzt der vertrieblichen Feinsteuerung eine Grenze: Er lohnt sich erst ab einer gewissen Auflagenhöhe, feiner definierte Zielgruppen kann er nicht bedienen. Beim Digitaldruck fallen die hohen Anlaufkosten weg, und deshalb ermöglicht das Verfahren die rentable Vermarktung auch kleiner Auflagen. Das heißt, Sie können viel besser differenzieren: Wo finde ich meine Leser, welche Inhalte interessieren sie?
Eine Zeitung kann – temporär oder permanent – ihren Lesern ins Ausland oder in die Hauptstadt folgen, und sie kann ihr inhaltliches Angebot präziser auf die Leser zuschneiden: etwa mit digital gedruckten Regionalteilen, die in den Offset-Mantel eingelegt werden, Leser hyperlokal erreichen und so zusätzliche Anzeigenumsätze erschließen. Diese Mischung von Offset- und Digitaldruck nennen wir „Hybridproduktion“. Neben der hyperlokalen Leseransprache ermöglicht sie größere Aktualität: So drucken wir etwa für „Hürriyet“ regelmäßig digitale Sportbeilagen, mit denen die türkischen Leser in Berlin so aktuell über Fußballergebnisse informiert sind wie die in Istanbul.
Welche Vorteile hat es, wenn Druck und Vertrieb in einer Hand sind?
Digitaldruck ermöglicht die kompromisslose Umsetzung vertrieblicher Vorgaben bei der Zeitungsproduktion und eröffnet so neue Vermarktungschancen. Das funktioniert aber nur, wenn die vertriebliche Situation im Zielmarkt detailliert erfasst wird und sofort in die Produktion einfließt. Die Integration der Druckabläufe in vertriebliche Strukturen – in Berlin der Presse-Grosist V.V. Vertriebs-Vereinigung, in Italien der landesweit größte Presse-Importeur Messinter – sorgt dafür, dass wir potenzielle Leser optimal ansprechen und Ressourcen optimal einsetzen können.
Ein weiterer Aspekt: Außerhalb ihrer Heimatregion sind Regionalzeitungen Special-Interest-Produkte. Das ist für viele Tageszeitungen eine neue Situation, denn im Kernmarkt treten sie als General-Interest-Versorger auf. Dank des Digitaldrucks können Zeitungen also erstmals vom Special-Interest-Boom profitieren, statt wie bisher unter ihm zu leiden – wenn sie die technischen und verkäuferischen Kompetenzen für einen erfolgreichen Special-Interest-Vertrieb mitbringen. Entsprechende Kapazitäten müssten viele Verlage aber erst aufbauen, was sich wiederum oft nicht lohnt. Deshalb ist es sinnvoll und kommt es im Markt auch sehr gut an, dass wir nicht nur den Druck anbieten, sondern mit ihm die vertriebliche Kompetenz der besten Spezialisten vor Ort.
Print-on-Demand bedeutet, dass der Vertrieb die Produktionsmengen exemplargenau vorgibt. Wie wird der Bedarf pro Titel und Tag ermittelt und wie exakt sind diese Zahlen? Auf welcher Basis wird mit den Verlagen abgerechnet?
ie Erfassung des Bedarfs übernimmt der Vertriebspartner vor Ort nach exakt den Parametern, mit denen Special-Interest-Auflagen auf dem derzeitigen Stand der Technik im Markt gesteuert werden: Analysen der Verkaufsentwicklung, Aufschlüsselung von Handelsdaten nach Geschäftsarten und anderen relevanten Kriterien, Erstellen und Überarbeiten von Leitverteilern etc. In der Regel starten wir mit einer größeren Auflage, um Verkaufschancen aufzuspüren. Mit der Zeit werden die Vorgaben präziser, vertriebliche Effizienz und Marktausschöpfung steigen. Wichtig ist ein sorgfältiges, bislang im Tageszeitungsvertrieb nicht immer selbstverständliches Erfassen von Trends und Events: So bieten Sportveranstaltungen, Messen, Kirchentage und sonstige Events besondere Vermarktungschancen, die natürlich auch der Handel aufgreifen muss, etwa mit Hilfe von Plakaten, die wir gleich mitdrucken. – Basis für die Berechnung der Produktionskosten ist die gedruckte Seitenzahl.
Wie viele Stunden pro Tag ist die Versamark derzeit im Einsatz? Und in welcher Zeit hoffen Sie, dass sich die Ausrüstung amortisiert haben wird?
Wir haben den Druckbetrieb in Berlin Mitte März aufgenommen und drucken zum Auftakt mit einer Schicht Zeitungen, Beilagen, Plakate und weitere Produkte. Wann sich die Ausrüstung amortisiert haben wird, lässt sich derzeit nicht seriös sagen. Es hängt von der Auftragslage ab. Unsere Druckstandorte in Italien haben sich in kurzer Zeit sehr gut entwickelt, den ersten größeren Druckaufträgen sind schnell weitere gefolgt. Unser Horizont ist langfristig. Wir führen diese Technologie jetzt in Deutschland und Europa ein, weil sie sich für Verlage lohnt und weil sie sich durchsetzen wird. Die Kosten werden weiter sinken, die heute schon sehr gute Qualität wird weiter steigen. Deshalb wollen wir uns früh als führender Anbieter auf dem Markt etablieren und als unabhängiger Dienstleister den Verlagen von Anfang an beste Druckqualität und präzisen Vertrieb bieten.
Funktioniert NP Newsprint Berlin nach dem gleichen Modell wie Newsprint Italia oder gibt es grundsätzliche Unterschiede im Geschäftsmodell?
Alle Standorte von Newsprint Europe funktionieren nach einem einheitlichen Modell, und das ist eine wichtige Voraussetzung, um Zeitungen die volle Flexibilität des Digitaldrucks anbieten zu können. Unsere Verlagskunden haben einen zentralen Ansprechpartner, mit dem sie das auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Druckangebot erarbeiten und festlegen, in welchen Regionen sie zu welcher Zeit in welcher Auflagenhöhe vertreten sein wollen. Ein Verlag kann sich auf einen Standort beschränken, aber jederzeit auch kurzfristig auf weitere Standorte zugreifen. Die Abrechnung erfolgt ebenfalls übergreifend, wenn auch selbstverständlich detailliert aufgeschlüsselt nach Standorten und anderen gewünschten Kriterien.
Sie versorgen den Berliner Markt heute mit einem guten Dutzend internationaler Titel. Sehen Sie künftig auch Chancen bei Regionalzeitungen aus anderen Teilen Deutschlands, die in der Hauptstadt präsent sein wollen?
Es wäre im wörtlichen Sinne wunderbar, wenn wir in Berlin wenige Wochen nach Geschäftsaufnahme bereits ein gutes Dutzend Titel im Portfolio hätten. Ganz so viele sind es noch nicht. Derzeit drucken wir drei internationale Zeitungen permanent oder zu bestimmten Anlässen und sind mit potenziellen Verlagskunden in intensiven Gesprächen. Darunter sind internationale Titel und Regionalzeitungen, die in der Hauptstadt erstmals Präsenz zeigen, auf den Berliner Markt zurückkehren oder ihre Berliner Auflage auf Digitaldruck umstellen wollen. Wie unsere Standorte in Rom und Mailand bedient übrigens auch unsere Berliner Druckerei ein ausgedehntes Gebiet: Je nach Bedarf bieten wir die regional und saisonal flexibel regulierbare Lieferung von Dresden bis nach Hannover, Hamburg und an die Ostseeküste. Innerhalb Berlins bieten wir außerdem die Abo-Lieferung über Zustellerdienste, so dass die Stammleser einer regionalen oder internationalen Tageszeitung ihre Lektüre zum Frühstück im Briefkasten finden – als hätten sie eine Berliner Zeitung abonniert.
Unser Berliner Angebot ist für deutsche Regionalzeitungen attraktiv, weil es sich wegen der geringen Anlaufkosten schon ab einer geringen Auflage lohnt, Verlagen kaum Mehraufwand abverlangt und dank der vertrieblichen Produktionssteuerung Ressourcen optimal eingesetzt werden. Bei den Gesprächen mit Verlagen bestätigen sich unsere Erfahrungen in Italien. So geht es etwa oft um die Zeitungslogistik und den damit verbundenen Abstimmungsbedarf.
Bis zu welcher Auflagenhöhe kann der Digitaldruck gehen, um gegenüber dem Offsetdruck wettbewerbsfähig zu sein?
Diese Frage lässt sich pauschal nicht beantworten, weil die Kosten kaum vergleichbar sind und außerhalb des Heimatmarktes natürlich Transportwege einkalkuliert werden müssen, die für jeden Titel in jedem Zielmarkt anders ausfallen. Entscheidend ist aus unserer Sicht: Für Newsprint stehen Offset- und Digitaldruck nicht im Wettbewerb zueinander. Digitaldruck eröffnet zusätzliche Erlöschancen, die es ohne diese Technologie nicht gäbe und die auch der im Offsetverfahren hergestellten Zeitung zugute kommen: Jedes außerhalb des Kernverbreitungsgebiet verteilte Exemplar stärkt die Marke. Aus diesem Grund hat etwa der „Mannheimer Morgen“ während des Kirchentags in Mannheim eine Vatikan-Auflage digital drucken lassen. Eine wunderbare Marketingaktion, und nicht nur das: Die Exemplare haben wir auch verkauft.
Digitaldruck bedient Leserbedürfnisse, die vorher nicht bedient wurden, und schafft so Märkte, die es vorher nicht gab. Ein Zusatzgeschäft, das umso einträglicher ist, je besser ein Verlag die Flexibilität der digitalen Produktion vertrieblich und letztlich auch redaktionell und im Anzeigengeschäft nutzt. Etwa mit Hilfe kleinauflagiger Hyperlokalteile, die dank der niedrigen Anlaufkosten des Digitaldrucks rentabel produziert und vermarktet werden können. Online beobachten wir den Trend zu hyperlokaler Berichterstattung seit langem. Dank des Digitaldrucks kann ihn jetzt auch die gedruckte Zeitung aufgreifen. Die Hybridproduktion – digital gedruckte HhHHyperlokalbeilagen, Sportberichte, aktuelle Nachrichten werden in den Offset-Mantel eingelegt – zeigt übrigens anschaulich, dass Offset- und Digitaldruck nicht in Konkurrenz zueinander stehen, sondern einander ergänzen.
Es heißt, Berlin werde möglicherweise den Auftakt zu einem bundesweiten Digitaldruck-Netzwerk für Zeitungen bilden. Wie konkret sind Ihre diesbezüglichen Pläne? Stehen Starttermine für weitere Standorte (Frankfurt, München) fest? Was sind Ihre nächsten Schritte?
Wir gehen Schritt für Schritt vor und eröffnen neue Standorte, wenn sich die vorhandenen etabliert haben. Unsere nächsten Schritte hängen natürlich auch von der Marktentwicklung ab: von der Innovationsbereitschaft der Verleger und Handelspartner, von der technischen Entwicklung und nicht zuletzt vom Verhalten potenzieller Wettbewerber. Wir bieten die technisch führende Lösung mit der derzeit besten realisierbaren Druckqualität an, und das soll so bleiben. Künftige Standorte wollen wir ebenfalls in Kooperation mit Handelspartnern einrichten und – wenn es sich anbietet – auch gemeinsam mit Verlagen, etwa zur Realisierung hyperlokaler Angebote.
Könnte ein Digitaldruck-Netzwerk, das ein ganzes Land überzieht, die herkömmlichen Strukturen in der Zeitungsproduktion grundlegend verändern und in welchem Zeitrahmen könnte sich das vollziehen?
Die gedruckte Zeitung wird es auch in Zukunft geben, und deshalb wird sich digitaler Zeitungsdruck flächendeckend durchsetzen – wie sich der Drucker im Büro und im Privatbereich durchgesetzt hat, der uns dauerhaft erhalten bleiben wird, trotz Smartphone, Tablet-Rechner und was noch kommen mag. Aber eine verlässliche Vorhersage, in welchem Zeitrahmen sich ein flächendeckendes Digitaldruck-Netzwerk etablieren kann, lässt sich nicht treffen.
Ein solches Netzwerk wird die herkömmlichen Strukturen in der Zeitungsproduktion mit Sicherheit grundlegend verändern. Zum einen, weil sehr viele Verlage ein flächendeckendes Digitaldruck-Netz nutzen werden. Leserbedürfnisse lassen sich damit im Zeitungsmarkt so genau bedienen wie es im Markt der Special-Interest-Zeitschriften seit langem selbstverständlich ist. Zum anderen, weil ein solches Netzwerk die Voraussetzung schafft, lokalen und hyperlokalen Content überall in gedruckter Form anzubieten. Dieser Trend hat viele Aspekte. Vielleicht werden wir in der künftigen Entwicklung des Printmarkts Muster erkennen, die uns aus der Entwicklung des Internets vertraut sind. So werden wir eine Demokratisierung der Produktion beobachten. Die rentable Vermarktung von Kleinstauflagen ermöglicht den Markteinstieg von Kleinstverlegern, wer bloggt oder YouTube-Clips hochlädt, kann auch eine Zeitung herausgeben: Jeder ist ein Verleger. Andererseits werden wir gerade deshalb Verteilungskämpfe erleben. Die etablierten Anbieter werden ihre Erfahrung und ihren guten Namen nutzen, um sich auch im hyperlokalen Geschäft die Vormacht zu sichern. „Verteilungskämpfe“ klingt allerdings zu martialisch. Auf diese Kämpfe dürfen wir uns freuen, denn sie bedeuten, dass es etwas zu verteilen gibt.