Nach Angaben des Weltverbands der Zeitungen und Nachrichtenanbieter (WAN-IFRA) wurden im vergangenen Jahr 68 getötete Journalisten verzeichnet, wobei die höchste Opferzahl auf das Konto des anhaltenden Konflikts in Syrien geht. Das Zeitalter globaler Vernetzung geht einher mit einem unersättlichen Drang nach Informationen. Traurige Wahrheit ist jedoch, dass nach wie vor Journalisten bei der Recherche und Vermittlung eben dieser Informationen ihr Leben lassen.
Zwar sind die Gründe dafür vielfältig, doch der gemeinsame Nenner dabei ist laut Guy Berger, dem Leiter des Bereichs Meinungsfreiheit und Medienentwicklung bei der UNESCO, die Tatsache, dass die „Mörder nicht zur Rechenschaft gezogen werden“.
Was mit „Straflosigkeit“ bezeichnet wird, ist Ausdruck des Versagens der Justiz und ein Maßstab dafür, wie marode eine Gesellschaft sein kann. Straflosigkeit für diejenigen, denen Journalisten zum Opfer fallen – seien die Täter Kriminelle, Terroristen oder Vertreter der Staatsmacht – vermittelt die Botschaft, dass es akzeptabel sei, diejenigen anzugreifen, die ihre Stimme erheben oder unbequeme Wahrheiten enthüllen. Dadurch werden Ermittlungen verhindert und Kritiker mundtot gemacht – und damit die Kontrollfunktion der Presse gegenüber staatlichen Institutionen entwertet. Auch wird damit den Mächtigen gestattet, unsere Rechte und Freiheiten mit Füßen zu treten.
Was noch schlimmer ist, Straflosigkeit führt dazu, dass den Angriffen auf Journalisten kein Einhalt geboten wird und Jahr für Jahr Opfer zu beklagen sind. So wurden zwischen 2002 und 2012 mindestens 801 getötete Journalisten verzeichnet.
Wenn es eine vergleichbare tödliche Statistik für einen anderen Berufsstand gäbe, der einen ebenso großen Einfluss darauf hat, wie wir unsere Welt verstehen und begreifen, so gäbe es sicherlich einen gewaltigen Aufschrei, unermüdliche Ermittlungen und weltweite Unterstützung für die Bemühungen, diesen Trend zu stoppen.
Und genauso sollte es sein.
Man stelle sich nur einmal vor, Politiker, Volksvertreter oder Religionsführer würden so häufig und unter ähnlich wiederkehrenden Umständen zum Angriffsziel. Wie würde sich dies auf die entsprechenden gesellschaftlichen Bereiche und unsere eigene Sicht der Welt auswirken?
Die Medien in der ihnen zugedachten Funktion als Vierte Gewalt sollten hier keine Ausnahme bilden.
In manchen Regionen der Welt, wo man es mit vom Krieg gezeichneten oder sogenannten gescheiterten Staaten zu tun hat, ist ein genereller Verfall festzustellen. Die Bilanz von 16 in diesem Jahr in Syrien und 14 in Somalia getöteten Journalisten ist, grob vereinfacht, dem völligen Fehlen jeglicher Rechtsstaatlichkeit anzulasten – was das Entsetzen darüber natürlich nicht mindern kann.
Auch werden mit der Auffassung, Journalisten seien waghalsig oder finanzschwache Presseunternehmen handelten ethisch fragwürdig, wenn sie auf Freelancer oder lokale Reporter zurückgreifen, bloß die Symptome beim Namen genannt, ohne die eigentlichen Ursachen zu bekämpfen.
Das Thema Sicherheit „muss auf vielen Ebenen Teil der Diskussion und der Kultur sein“, wie Hannah Storm, die Leiterin des International News Safety Institute (INSI), betont. Diese Überzeugung findet weithin Zustimmung und zunehmend Unterstützung in der weltweiten Medienbranche.
Für große oder finanzstarke Nachrichtenmedien mag das schön und gut sein, doch wie der pakistanische Journalist Umar Cheema verdeutlicht, haben beispielsweise in Pakistan weder die Regierung in Islamabad noch die örtlichen Medienunternehmen angemessene Sicherheitsmaßnahmen für diejenigen umgesetzt, die von den vielen Fronten in Pakistan berichten. Ausrüstungsgegenstände wie Kameras kann man versichern, doch die Idee einer Lebens- oder Krankenversicherung für Journalisten stößt bei vielen auf strikte Ablehnung.
Eine solche Einstellung spornt die Medienrechtsgruppen in aller Welt dazu an, das Bewusstsein für die Sicherheit von Journalisten auf allen Ebenen – von den Vorstandsetagen bis zu den Reportern vor Ort – zu stärken. Der von den Vereinten Nationen im November 2012 gebilligte Aktionsplan für die Sicherheit von Journalisten geht mit der Erwartung einher, dass die UN und deren Mitgliedsstaaten die Zivilgesellschaft und die Medien in die Pflicht nehmen, die mit dem Schutz von Journalisten zusammenhängenden Themen anzugehen.
Doch wenn Straflosigkeit das gesamte Umfeld durchzieht, die Unabhängigkeit des Justizwesens in Frage steht, Sicherheitskräfte und politische Amtsträger in Korruption verstrickt sind, gibt es keine fairen Voraussetzungen, am allerwenigsten für Journalisten. Durch Korruption werden finanziell, ideologisch oder machtpolitsch marode Systeme am Leben erhalten. In einem solchen Kontext betrachten die Mächtigen Journalisten als unbequemes Ärgernis. Und die einfachste Lösung liegt ihrer Ansicht nach darin, dieses Ärgernis auszumerzen.
Dies sendet eine deutliche Botschaft an die Medien, die unweigerlich zu Selbstzensur greifen oder zu kontroversen Themen schweigen, und eine Botschaft an die Gesellschaft als Ganzes: So ist es nun mal – und das lässt sich nicht ändern. Die Qualität und die gründliche Recherche und Darstellung von Informationen schwinden, die den Medien zugedachte Kontrollfunktion wird bedeutungslos und die Medien können ihre gesellschaftliche Rolle nicht mehr ausüben.
Jede Person, Organisation oder Institution, die in den Mord an einem Journalisten verstrickt ist und in Freiheit bleibt, verstärkt diese Botschaft noch.
Die Meinung, dass man „mit Mord ungeschoren davonkommt“, stellt unsere Vorstellung von der Gesellschaft, in der wir leben, infrage. Es bereitet uns viel mehr Unbehagen, wenn ein Mord an einem Journalisten in einem demokratischen Land straflos bleibt, weil uns dies der Vorstellung von Chaos viel näher bringt als uns lieb ist.
Wenngleich nur für einen kurzen Augenblick.
Denn die Story geht weiter – und zurück bleibt ein toter Journalist. Keine Gesetze der Welt können mangelndes Engagement für eine Beendigung der Straflosigkeit rechtfertigen. „In dem Chaos, das in Mexiko herrscht, sind Journalisten einfache, angreifbare Ziele“, betont auch die mexikanische Journalistin und Autorin Anabel Hernández.
Trotz aller gesetzlichen Änderungen zur Einsetzung von Sonderstaatsanwälten in Mexiko, haben „die Morde an Journalisten nicht aufgehört“, so Hernández weiter. „Derartige Initiativen hatten keinerlei positive Wirkung, denn es fehlt an dem Willen, die Gesetze und Maßnahmenprogramme zum Schutz von Journalisten in die Tat umzusetzen.“
In Mexiko wie in anderen von Straflosigkeit gepeinigten Ländern liegt dies daran, dass diejenigen, die eigentlich die Journalisten schützen sollten, oft auch in die abscheulichsten Verbrechen gegen Journalisten verstrickt sind.
Wenn ein Kollege in Ausübung seines Berufes stirbt, löst dies immer allgemeine Betroffenheit aus. Die dadurch angestoßenen Überlegungen finden auch über die Berufsgruppe hinaus breiten Widerhall und machen jegliche Erklärung überflüssig. Und doch verweist das ständige Wiederkehren der gleichen Grundursachen für den Tod von Journalisten auf einen systematischen Verrat an der Gerechtigkeit, unabhängig davon, wo solche Morde geschehen. Sind Journalisten als entbehrlich zu betrachten, solange der Anspruch auf Rund-um-die-Uhr-Berichterstattung erfüllt ist? Vielleicht könnte die Unterbrechung eines Informationsdienstes bzw. einer Übertragung oder die Veröffentlichung einer leeren Seite hier eine deutlichere Sprache sprechen.
Wie viele Tote es noch braucht, um eine Wende in der Einstellung herbeizuführen, dass man nicht dafür bezahlen müsse, wenn man einen Journalisten zum Schweigen bringt, das bleibt dahingestellt. Jeder Tod ist eine Tragödie. So viele Todesfälle sind einfach unbegreiflich. Doch wenn immer und immer wieder aus dem gleichen Grund Tote zu beklagen sind, ist dies einfach eine moralische Schande.
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Die hier zur Illustration verwendete Infografik kann unter Angabe von IFEX und der International Campaign to End Impunity kostenlos heruntergeladen werden.