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Mineralölfreie Zeitungsdruckfarben getestet

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Mineralölfreie Zeitungsdruckfarben getestet

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14192

Am 14. November 2011 luden die Coop Genossenschaft und deren Basler Druckdienstleister „Die Zeitungsdrucker“ zirka 50 Branchenkollegen und Experten zu einer Fachtagung ins Druckzentrum der Basler Zeitung nach Basel ein. Vorgestellt wurde ein von Coop initiiertes und im Rahmen ihrer Nachhaltigkeitsbestrebungen finanziertes Projekt zur Prüfung der Möglichkeiten des Einsatzes mineralölfreier Druckfarben im Zeitungsdruck sowie die Resultate entsprechender Drucktests.

Coop ist die zweitgrößte Einzelhandelskette (1900 Verkaufsstellen) und einer der größten Arbeitgeber in der Schweiz (54.000 Mitarbeiter). Das Anzeigenblatt Coop Zeitung wird an sieben Druckstandorten in der Schweiz gedruckt und im ganzen Land in einer Auflage von ca. 2,5 Millionen Exemplaren kostenlos verteilt. Coop verweist mit Stolz darauf, dass Nachhaltigkeit als ein integrierter Bestandteil der Geschäftstätigkeit in ihren Statuten, im Leitbild und in den Missionen verankert ist. Ihre Aktivitäten, Ziele und Massnahmen werden jährlich in einem Nachhaltigkeitsbericht transparent gemacht. Das selbstgesteckte Ziel der Coop ist, bis 2023 in allen beeinflussbaren Bereichen CO2-neutral zu werden.

 

Warum mineralölfreie Zeitungsdruckfarben?

Lebensmittelverpackungen aus Recyclingkarton enthalten Mineralölanteile, die auf Lebensmittel übergehen und Krebs auslösen können. Eine Quelle für den Eintrag von Mineralöl in Lebensmittelverpackungen sind Druckfaben, welche über das Altpapierrecycling in den Karton gelangen. Dies ist seit vielen Jahren bekannt, doch erst als das Thema 2010 von den Medien aufgegriffen wurde, löste das eine öffentliche Diskussion über die Problematik und deren mögliche Lösung aus. Als Handelskette für Lebensmittel und als Druckauftraggeber einer auflagenstarken Kundenzeitung sah sich Coop hier besonders angesprochen und wollte mit der praktischen Erprobung mineralöfreier Druckfarben ein Zeichen setzen und die Diskussion auf eine neue, mit Erfahrungswerten untermauerte Basis stellen. „Wir wollten zeigen, dass wir die Anforderung ernst nehmen und sind mit ‚Die Zeitungsdrucker‘ auf diese Lösung gekommen“, erklärte Joachim Tillessen, Leiter Coop Presse, der das Projekt vorstellte.

 

Praxistest und Ergebnis

Die Drucktests mit mineralölfreien Farben begannen im Juni 2011 zunächst mit einer Teilausgabe der Coop Zeitung von 150.000 Exemplaren und wurde in einem zweiten Test auf die gesamte in Basel gedruckte Auflage von ca. 500.000 Exemplaren ausgeweitet. Begleitet wurden die Drucktests von der Ugra, die die Farben untersucht hat und ihnen Praxistauglichkeit und gute Qualität bescheinigte. Die Farben weisen mit zirka 1-2% (bei Buntfarben) bzw. 4% (im Schwarz) einen erheblich niedrigeren Mineralölanteil gegenüber herkömmlichen Farben auf, deren Anteil zwischen 12 und 30% beträgt. Seither wurden auch weitere Produkte wie zum Beispiel die Basler Zeitung mit diesen Druckfarben produziert; ca. 9000 kg Farbe seien verdruckt worden. Über die Tests wurde strengstes Stillschweigen verhängt und tatsächlich habe niemand den Unterschied bemerkt. Reaktionen habe es weder vonseiten der Drucker noch von Lesern oder Anzeigenkunden gegeben. Es trat kein Ablegen noch Abschmieren der Farbe auf. Das Testergebnis lautet: Die Verwendung mineralölfreier Druckfarben führt zu keinerlei Problemen im Druck.

 

Geballte Information

Bei der Veranstaltung in Basel, bei der im wesentlichen die Vertreter der verschiedenen am Projekt beteiligten Schweizer Unternehmen zu Wort kamen, wurde unter anderem deutlich, dass es zu einfach wäre, den Zeitungen die Schuld an dieser Situation zuzuschieben. Hier einige Aussagen und Fakten, die in den fachlich hochkarätigen und sehr sachlich präsentierten Beiträgen auf den Tisch gelegt wurden:

Zeitunglesen ist ungefährlich (eine Gesundheitsgefährdung durch Hautkontakt besteht nicht). Zeitungsfarbe fällt nicht unter das Lesensmittelrecht. Die Zeitung ist auch kein Verpackungsmaterial für Lebensmittel.

Lebensmittelverpackung sollte kostengünstig, wiederverwertbar und gesundheitlich unbedenklich sein. Es überwiegt die Meinung, dass Recyclingkarton für Lebensmittelverpackungen grundsätzlich ungeeignet ist, da bestimmte im Mineralöl enthaltene Kohlenwasserstoffverbindungen, denen man eine krebserregende Wirkung nachsagt, auf die Lebensmittel übergehen können. (Neben Mineralöl können im Alpapier auch viele andere Schadstoffe enthalten sein.) Es gibt bisher keine Grenzwerte für Verpackungen aus Karton und Pappe (Grenzwerte existieren nur für Übergänge aus Kunststoffen). Eine Risikobewertung steht noch aus.

 

Um eine Gesundheitgefährdung auszuschließen, müssen Mineralölübergänge elimieriert werden. Als mögliche Lösungen, die kurz-, mittel- bzw. langfristig Abhilfe schaffen könnten, wurden vorgestellt:

  • die Verwendung von Innenbeuteln oder eine entsprechende Beschichtung des Verpackungsmaterials (funktionelle Barrieren),
  • die Veränderung des Recyclingprozesses durch einen zusätzlichen Reinigungsschritt,
  • die Eliminierung der Eintragsquellen durch die Verwendung von Frischfaserkarton oder mineralölfreie Druckfarben.

Mehrkosten sind in jedem Fall unvermeidlich.

 

Blindmuster von Verpackungen wären nötig, um festzustellen, inwiefern die Lebensmittel selbst u.U. grundbelastet sind.

 

Hinsichtlich der funktionellen Barrieren gibt es bereits mehrere konkrete Entwicklungen:

Mayr-Melnhof, der weltgrößte Hersteller von gestrichenem Recyclingkarton und ein bedeutender Faltschachtelhersteller, hat eine Barriere entwickelt, die, auf der Kartoninnenseite aufgebracht, dafür sorgt, dass die Migration von Mineralölrückständen in Lebensmittel aufgehalten wird. Der Karton soll 2013 marktreif sein. Auch BASF bietet der Verpackungsindustrie eine Barrierelösung gegen Mineralölübergänge an. Die Marktreife soll ebenfalls 2013 erreicht sein.

 

Mineralöle in Lebensmittelverpackungen kommen nicht allein aus Zeitungen, sondern auch beispielsweise aus Zeitschriften und aus mit konventionellen Offsetdruckfarben bedruckten Faltschachteln, die in den Altpapierkreislauf eingehen. Außerdem kommt Altpapier aus dem Ausland hinzu, über dessen Zusammensetzung nichts bekannt ist. Daher lösen mineralölfreie Zeitungsdruckfarben das grundsätzliche Problem nicht. Das Ziel des Verbraucherschutzes kann mit der Umstellung der Farbe allein nicht erreicht werden, sie könnte nur einen Beitrag dazu leisten.

 

Es kann keine Lösung des Problems auf Länderebene geben; das Thema muss EU-weit oder sogar global vorangetrieben werden.

 

Besonderheiten mineralölfreier Druckfarben

Bei mineralölfreien Druckfarben können Farben auf Pflanzenölbasis sowie Farben auf der Basis von synthetischen Ölen (mit definierten Molekülstrukturen) eingesetzt werden. Stehlin+Hostag hat zwei Prototyp-Farbserien entwickelt, die bei den Tests eingesetzt wurden. Bei der Verwendung von Pflanzenölen, sollten diese nicht im Wettbewerb zur Lebensmittelerzeugung stehen.

 

Die Verwendung mineralölfreier Farben erfordert Anpassungen im Druckprozess. Das betrifft Maschinenparameter sowie Farbwalzen und Gummitücher, da die Elastomermaterialien ein verändertes Quell- und Schrumpfungsverhalten aufweisen (können). 

 

Mineralölfreie Farben sind in Wirklichkeit nicht 100%ig mineralölfrei, da diese industriell auf Anlagen hergestellt werden, die nicht kontaminierungsfrei sind und somit eine „Verschleppung“ über den Herstellungsprozess stattfindet. Um diese Restverschleppung zu verhindern ist eine Optimierung nötig. 

 

Mineralölfreie Farben sind teurer als herkömmliche Zeitungsdruckfarben. Die Mehrkosten wurden mit ca. 1 Schweizer Franken pro kg (ca. 25-30% mehr als herkömmliche Farben) beziffert. [Anm. d. Red.: Zu Beginn der Tests war noch von einem doppelt so hohen Preis für mineralölfreie Farben die Rede.] Stehlin+Hostag ist in der Lage, die industrielle Herstellung mineralölfreier Farben aufzunehmen.

 

Unterschiedliche Interessenlagen

An der Diskussion um das Problem der Lebensmittelverpackung sind zahlreiche Interessengruppen und -verbände sowie Ministerien beteiligt, die unterschiedliche Ziele verfolgen bzw. eine Bedrohung für ihre Geschäftssparte sehen, sollte sich die derzeitige Gesetzeslage in Bezug auf Lebensmittelverpackungen ändern.

 

Gastreferent Volker Hotop stellte als Vertreter des BDZV die Position des Bundesverbands deutscher Zeitungsverleger dar und führte Beispiele für die aktuelle Situation in Deutschland an.

 

Die Hersteller von Papier, Karton und Pappe (Verband Deutscher Papierfabriken, VDP)

sowie die Papier, Karton und Pappe verarbeitende Industrie (Wirtschaftsverbände Papierverarbeitung, WPV) sind am Erhalt eines funktionierenden Altpapier-

Kreislaufs interessiert. Eine gemeinsame Initiative von VDP und WPV mit dem Titel „Sauberes Papierrecycling“ soll Ende 2012 gestartet werden. Sie zielt u.a. auf die Reduzierung und Vermeidung des Eintrags unerwünschter Stoffe in den Altpapier-Kreislauf ab.

 

Der Fachverband der Faltschachtel-Industrie (FFI) befürchtet Schaden für seine Mitglieder, sollten Faltschachteln verdrängt werden.

 

Der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL) drängt auf mineralölfreie Zeitungsdruckfarben.

 

Das Umweltbundesamt (UBA) befürchtet ein Zusammenbrechen der Recyclingkreisläufe, wenn auf Frischfaser umgestellt wird. Außerdem sollen Rohstoffe geschont werden.

 

Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz  (BMELV) setzt sich für die funktionelle Barriere ein.

 

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) führt die Grenzwert-Diskussion. Die  Auswirkungen von Mineralölbestandteilen in Papier, Karton und Pappe sollen anhand von „kritischen“ Lebensmitteln untersucht werden (Tierversuche).

 

Der BDZV als Vertreter der Zeitungen in Deutschland sieht derzeit keinen Grund, die Zeitungsdruckfarbe zu ändern und begründet das mit Unbedenklichkeit, Mehrkosten und damit, dass dies keine grundsätzliche Problemlösung darstellt.

 

Wie geht es weiter mit mineralölfreien Zeitungsdruckfarben bei Coop?

Ob bzw. wie es mit dem Einsatz mineralölfreier Zeitungsdruckfarben für die Herstellung der Coop Zeitung weitergeht, ist derzeit noch völlig offen. Hier stehen nicht nur Fragen der Wirtschaftlichkeit an. Eine hybride Anwendung – der abwechselnde Einsatz von herkömmlichen und mineralölfreien Druckfarben – kann sich Felix Bitterli, der Geschäftsführer von Die Zeitungsdrucker, jedenfalls nicht vorstellen; das sei nicht praxisgerecht.

 

Wie Joachim Tillessen erklärte wollte man mit den Praxistests zunächst die Vorbehalte, die es gegen mineralölfreie Druckfarben gab, widerlegen und mit Fakten (und einem Ugra-Nachweis) untermauern. Der Beweis, dass es funktioniert, ist damit erbracht.

 

An der Konferenz wirkten folgenden Referenten mit:

  • Felix Bitterli, der Geschäftsführer des Coop-Druckpartners Die Zeitungsdrucker (Gastgeber)
  • Joachim Tillessen, Leiter der Coop Presse
  • Dr. Mark Lutz, Leiter des Coop Zentrallabors
  • Marius Fink, Coop Presse (Leiter der Arbeitsgruppe)
  • Harald.Weberbauer, Stehlin-Hostag (Druckfarbenlieferant)
  • Ernst Schreiber, Technischer Leiter, Stehlin-Hostag (Druckfarbenlieferant)
  • Stefan Endras, Utzenstorf-Papier (Papierliefereant)
  • Erwin Widmer, CEO, Ugra (Druckfarbenuntersuchung)
  • Volker Hotop, Technischer Direktor der Frankfurter Societätsdruckerei, repräsentierte den BDZV

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Autor

Charlotte Janischewski's picture

Charlotte Janischewski

Datum

2011-11-28 18:16

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