WAN-IFRA: Seit der drupa 2008 hat sich in der Druckindustrie vieles getan. Wie ist die derzeitige Stimmung in der Branche und inwieweit wirken sich die aktuellen Branchenentwicklungen auf die drupa 2012 aus?
BERNHARD SCHREIER: In der Tat hat sich das Umfeld der Druckindustrie in den letzten Jahren dramatisch verändert. Die Wirtschaftskrise vor zwei Jahren und die aktuell unsichere Situation im europäischen Währungsraum haben eine deutliche Marktveränderung bewirkt, die sich weiter fortsetzen wird. Dabei ist die Situation in weitgehend gesättigten Märkten, wo der Druckmarkt größtenteils auf hohem Niveau stagniert, ungleich schwieriger als
in aufstrebenden Ländern wie China oder Indien, die in nahezu allen Wirtschaftsbereichen einen enormen Nachholbedarf haben. Davon profitiert natürlich auch die Druckindustrie. Die weltweit größten Wachstumspotenziale – es wird von nahezu 17 Prozent bis 2014 ausgegangen – liegen im Verpackungsdruck. Das gilt übrigens auch für Druckereien in westlichen Industrienationen, denn mit der zunehmenden Sortenvielfalt bei Konsumgütern und dem steigenden Wettbewerb am Point of Sale nimmt die Bedeutung der Verpackung als Image- und Werbeträger weiter zu.
Auch wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen aktuell nicht optimal sind, gehen wir davon aus, dass unsere Kunden auf der drupa in neueste Innovationen investieren werden. Wir rechnen neben Europa vor allem mit Interesse aus den Regionen China, Südamerika aber auch in Teilen aus Nordamerika. Wir [Heidelberger Druckmaschinen], als größter Aussteller auf der Messe, sehen die drupa auch als Chance, dass das Vertrauen in der Branche wieder zunimmt.
Mit über 1800 Ausstellern auf 170.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche ist die drupa 2012 auch diesmal wieder voll belegt. Alle 19 Hallen des Messegeländes sind ausgebucht. Wer die drupa besucht, kann also sicher sein, dass er nahezu das komplette Weltmarktangebot zu sehen bekommt. Allerdings gibt es auch leichte Verschiebungen. Beispielsweise haben die Anbieter von integrierten Lösungen aus den Bereichen Vorstufe, Software, Digitaldruck und Web-to-Print diesmal einen größeren Stellenwert als noch zur drupa 2008. Auch der Bereich Weiterverarbeitung, der durch den Digitaldruck zusätzliche Impulse bekommt, nimmt diesmal deutlich mehr Platz ein.
WAN-IFRA: Die Medienbranche befindet sich in einem profunden Wandel. Elektronische Medien haben sich neben Print etabliert und gewinnen zunehmend an Boden. Werden Printmedien wie Tageszeitung und Zeitschrift von Online- und Mobile abgelöst?
B. SCHREIER: Die digitale Revolution beherrscht die Schlagzeilen. Doch trotz E-Books, Tablet-PCs, Facebook & Co nimmt das weltweite Druckvolumen beständig zu. Es wird heute mehr gedruckt als jemals zuvor. Leider profitieren von dieser positiven Entwicklung nicht alle. Vor allem die gedruckte Tageszeitung muss sich mehr und mehr der Frage stellen, welchen Mehrwert sie ihren Leser noch bieten kann, wenn alle wichtigen Meldungen am Abend zuvor bereits im Internet zu lesen waren. Wenn die klassische Tageszeitung schon heute von gestern ist, sind neue Ideen gefragt, die der hohen Glaubwürdigkeit dieses Mediums Rechnung tragen, und ich bin zuversichtlich, dass die Verlage diesen Strukturwandel erfolgreich bewältigen können. Aber auch hier ist wie in anderen Bereichen des Printmarktes die Entwicklung vorgezeichnet, die auf eine weitere Verknüpfung von gedruckten und elektronischen Medien hinauslaufen wird. Denn hier liegt die Zukunft.
Smartphones und soziale Medien wie Twitter, Facebook oder Google+ erleben derzeit einen unglaublichen Siegeszug, weil sie völlig neue Kommunikations- und Interaktionsmöglichkeiten eröffnen. Sie bringen Menschen online zusammen. Print spielt hierbei bisher nur eine untergeordnete Rolle, aber genau das ändert sich im Moment: Derzeit realisieren immer mehr Verlags- und Medienhäuser, Werbeagenturen und Designer sehr erfolgreiche Print-to-Web-Projekte. Das ist möglich, weil mit Anwendungen aus den Bereichen Augmented Reality oder Smart Tagging inzwischen Brückentechnologien existieren, mit denen sich die Vorteile von Print mit denen von Mobile und Social Media nahtlos verbinden lassen. Was wir derzeit erleben, ist also kein Ablöseprozess, stattdessen stehen wir am Anfang eines umfassenden und spannenden Integrationsprozesses, der viele neue Perspektiven und Chancen eröffnet.
WAN-IFRA: Wie kann Print seine Stärken noch besser ausspielen?
Wichtig ist, das riesige Spektrum der Möglichkeiten zu erkennen und sich der neuen Technologien zu bedienen. Beispielsweise können Unternehmen oder Werbeagenturen Mailings, Werbeanzeigen und Plakaten durch QR-Codes oder andere Bilderkennungssysteme einen interaktiven Mehrwert geben und sie für mehrstufige crossmediale Service- und Produktkampagnen einsetzen. Im Bereich der Verpackung werden immer mehr QR- oder Smart Tags eingesetzt, die den Verbrauchern zusätzliche Produktinformationen liefern (beispielsweise über Inhaltsstoffe, logistische Daten oder die Herkunft der Ware). Ein weiterer Anwendungsbereich sind gedruckte Sicherheitsmerkmale zur Bekämpfung von Markenpiraterie, etwa neue interaktive Sicherheitslösungen, bei denen analoge und digitale Codes fälschungssicher miteinander kombiniert und auf Verpackungen, Etiketten oder Blister gedruckt werden. Mit einer entsprechenden Smartphone-App können Konsumenten oder Zwischenhändler anschließend die Echtheit des Produkts direkt vor Ort überprüfen.
Ein Anwendungsfeld, das die gesamte Branche revolutionieren könnte, ist Functional Printing. Dabei handelt es sich um den Druck extrem dünner Elektronikbauteile, beispielsweise von Platinen, Solarzellen oder RFID-Etiketten. Möglich wird dies mithilfe von speziellen Druckverfahren, bei denen statt Farben oder Lacke spezielle Polymer-Kunststoffe verarbeitet werden. Für den einen oder anderen mag das nach Zukunftsmusik klingen. Fakt ist aber: Die entsprechenden Maschinen sind als Prototypen bereits im Einsatz, und die Fortschritte auf diesem Gebiet sind absolut vielversprechend.
Wer einen Blick in diese Zukunft werfen möchte, sollte den drupa innovation park 2012 in Halle 7 besuchen. Hier zeigen junge und etablierte Unternehmen wegweisende neue Lösungen für die gesamte Branche. So sind neben innovativen Anwendungen im Bereich des Lentikulardrucks auch Lösungen zu sehen, die eindrucksvoll vor Augen führen, was Print in Verbindung mit mobilen Endgeräten alles leisten kann.
WAN-IFRA: Welche strukturellen und strategischen Veränderungen sind in der Druckbranche erforderlich, um deren wirtschaftlichen Erfolg langfristig zu sichern?
Um langfristig erfolgreich zu sein, reichen innovative Produkte und Technologien allein nicht aus. Wer seinen Kunden in Zukunft mehr bieten will, braucht auch betriebswirtschaftlich optimierte Prozesse und innovative Geschäftsmodelle. Die gezielten Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern schafft die Voraussetzung dafür, dass jeder Einzelne mit dem rasanten technologischen Wandel Schritt halten kann und an seinem Arbeitsplatz das Optimum leistet. Angesichts der angespannten Wirtschaftslage und des damit zusammenhängenden Innovationsstaus zählt die langfristige Sicherheit von Investitionen in Maschinen, Verbrauchsmaterialien und weitere Ausrüstungsgegenstände ebenfalls dazu.
Ein weiterer Aspekt betrifft die Zusammenarbeit mit dem Kunden: Druckdienstleister müssen sich verstärkt als Berater ihrer Auftraggeber positionieren, wenn sie erfolgreich sein wollen. Pünktlichkeit, Qualität, gute Preise – das alleine genügt heute einfach nicht mehr, um sich dauerhaft und sichtbar vom Wettbewerb zu differenzieren. Unentbehrlich machen sich Druckereien mittel- und langfristig nur, wenn sie Printbuyer im Vorfeld umfassend und sicher beraten – wenn sie zeigen, welche Möglichkeiten und Alternativen es wirklich gibt, wo sich ohne Qualitätsverlust Geld sparen lässt und wie gesteckte Ziele noch besser erreicht werden können. Druckereien, die hier über die nötige Erfahrung und das erforderliche Know-how verfügen, haben einen ganz wichtigen Vorteil: Sie bieten ihren Kunden einen Mehrwert und sind bei Preisverhandlungen weniger anfällig.